Am 03. September 2020 hat die deutsche Post eine Sondermarke zum Thema Umweltschutz herausgegeben. Das Design dafür stammt aus der Feder von Chris Campe, die auf Instagram auch unter @allthingsletters zu finden ist. Schon längst wollten wir die Designerin, die mit Schrift und Typo quasi vor nichts Halt macht, für ein Interview anfragen. Die Erscheinung dieser Briefmarke war das, was beim sprichwörtlichen i nicht fehlen darf: das Tüpfelchen oben drauf, um endlich die Interviewanfrage los zu schicken. Diese hat sie uns mit einem Ja beantwortet. Worüber wir mit ihr gesprochen haben, erfahrt Ihr heute…
All Things Letters ist das Designbüro von Chris Campe in Hamburg. Hier entstehen Designs für Bücher, Cover, Logos, Illustrationen, Websites, Wände, Räume und Schaufenster.
Das Besondere daran ist: Chris Campe gestaltet alles mit Buchstaben. Für jedes Designproblem, liefert sie eine Schriftlösung. Wir freuen uns, dass die vielseitige Wahlhamburgerin sich Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten.
PD: Wer sich mit Buchstaben, Schriftdesign, Fonts und den entsprechenden Randthemen beschäftigt, hat eine sehr gute Chance dabei irgendwann auf Dich zu treffen. Wobei es hier verschiedene Richtungen gibt, von denen aus Du Dich Deinem Lieblingsthema, den Buchstaben, immer wieder näherst.
Du bist wie ein Knotenpunkt in einem Netz. Neben Deiner Designarbeit hältst Du außerdem Vorträge, gibst Lettering- und Type-Design-Workshops, bist sehr engagiert in der Schriftdesignszene und obendrein noch Buchautorin. Wo begann denn diese Reise, was ist sozusagen, der erste Buchstabe in Deinem ‚Alphabet‘?
Chris: Nach dem Abi habe ich eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht, eigentlich durch Zufall, und während der Ausbildung überlegte ich hin und her, was ich anschließend studieren sollte: Journalismus oder Design? Schreiben oder Gestalten?
Im Buchladen war ich für die Kinderbücher zuständig. Und weil alle tollen Bilderbücher von der HAW in Hamburg kamen, habe ich in Hamburg Illustration studiert.
Ich hatte mich also für die Gestaltung entschieden, doch das Schreiben-Wollen war nicht weg. Und so hab ich während des Semesters Kurse für kreatives Schreiben belegt und bin nach dem Diplom mit einem Fulbright-Stipendium nach Chicago gegangen. Dort machte ich an der School of the Art Institute meinen Master in »Visual and Critical Studies«, das ist sowas wie Kulturwissenschaften.
Als ich aus Chicago zurück war, habe ich mich auf Lettering spezialisiert. Seitdem arbeite ich nun an der Schnittstelle von Illustration, Schriftgestaltung und Text. Das Tolle am Lettering ist, dass ich dabei gleichzeitig schreiben und gestalten kann.
PD: Wie lange dauert es von da an, bis man den Wunsch hat, ein eigenes Buch herauszubringen?
Chris: Ich habe schon während meiner Ausbildung davon geträumt, ein Buch mit meinem eigenen Namen drauf zu verkaufen. Zehn Jahre später war es soweit: Mein erstes Buch „Hamburg Alphabet“ ist 2010 erschienen.
PD: Beim „Hamburg Alphabet“ handelt es sich um ein Fotobuch. Anfang dieses Jahres hast du nach 10 Jahren eine aktualisierte 2. Auflage veröffentlicht. Wie hat sich die Idee für dieses besondere Buch entwickelt und spukte Dir damals schon die Idee für ein Update davon durch den Kopf?
Chris: Die Idee für das „Hamburg Alphabet“ verdanke ich einem anderen Buch. 2009 hatte jemand in dem Buchladen, in dem ich damals jobbte, das „Stadtalphabet Wien“ von Martin Ulrich Kehrer bestellt – ein Fotobuch über Fassadenbeschriftungen in Wien. Ich war ein Jahr zuvor das erste Mal in Wien gewesen und ganz aus dem Häuschen geraten, weil die Stadt so ein typografisches Wunderland ist.
Als ich im Buchladen voller Entzücken durch das „Stadtalphabet Wien“ blätterte, schoss mir der Gedanke in den Kopf: „So ein Buch mach ich für Hamburg!“
Als ich 200 verschiedene Schilder fotografiert hatte, schrieb ich ein Buchkonzept und schickte es an den Sonderzahl Verlag, der das „Stadtalphabet Wien“ veröffentlicht hatte. Der Verlag winkte ab, hatte aber nichts dagegen, dass ich das Buch woanders veröffentliche. Im Herbst 2010 ist es schließlich im Junius Verlag erschienen.
Für das „Hamburg Alphabet“ bin ich 1537 Kilometer mit dem Rad durch Hamburg gefahren und habe Fotos von über 1000 verschiedenen alten Schildern gemacht. Die 220 bemerkenswertesten sind im Buch – in alphabetischer Reihenfolge.
Zum 10-jährigen Jubiläum des Buchs habe ich Anfang dieses Jahres eine aktualisierte Neuausgabe veröffentlicht. Dazu bin ich noch einmal durch die ganze Stadt gefahren und habe alle Schilder, die im Buch sind, neu fotografiert.
Wenn man die beiden Bücher nebeneinander legt, sieht man, wie sich die Stadt in den letzten 10 Jahren verändert hat.
In der neuen Ausgabe sind auf manchen Seiten nur leere Wände zu sehen, weil fast 40 Prozent der Schilder inzwischen verschwunden sind.
Die erste Ausgabe des „Hamburg Alphabet“ wird also als Archiv für verschwindende Schriftformen immer wertvoller, je mehr Zeit vergeht. Aber im direkten Vergleich erzählen die beiden Bücher noch eine größere Geschichte, denn mit ihrem Fokus auf ein Detail im Stadtbild werfen sie ein Schlaglicht auf strukturelle Veränderungen in Hamburg.
PD: Während das „Hamburg Alphabet“ Deine Einladung ist, sich an den Designs und Schriften anderer – und nicht zuletzt an der Hansestadt – zu freuen, teilst Du in weiteren Büchern Dein Wissen mit denjenigen, die selbst Schrift gestalten. Was ist Dir beim Schreiben deiner Bücher über Schrift besonders wichtig?
Chris: In meinen Büchern „Handbuch Handlettering“, „Praxisbuch Brush Lettering“ und „Making Fonts“ erkläre ich die schriftgestalterischen Grundlagen, die man zum Lettering und Type-Design braucht.
Denn das Schöne am Lettering ist zwar, dass man im Prinzip zeichnen kann, was man will. Aber Schrift ist eben ein Bereich mit lang etablierten Konventionen und Sehgewohnheiten. Und deswegen sieht Lettering fast immer besser aus, wenn man die wesentlichen Regeln der Schriftgestaltung kennt.
Meine Bücher sind Fachbücher für Illustratoren, die sich nicht an Schrift rantrauen, für Grafikerinnen, die denken, sie können nicht zeichnen und für Designer, die schon immer mal einen eigenen Font gestalten wollten.
Ich kenne nämlich tatsächlich viele Kolleginnen und Kollegen, die sich scheuen, Schrift zu gestalten, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Gegen diese Scheu schreibe ich in meinen Büchern an.
Dazu erkläre ich ganz genau, wie Schrift funktioniert. Denn wenn man die Struktur der Buchstaben verstanden hat, und die Parameter kennt, die ihr Aussehen und ihre Wirkung beeinflussen, kann man sie frei variieren.
Mich interessiert am meisten, wie man Schrift als erzählerisches Ausdrucksmittel einsetzen kann. In meinen Aufträgen gestalte ich Schrift für einen ganz konkreten Verwendungszweck so, dass die Form der Buchstaben den Inhalt der Worte schon vermittelt, noch bevor man den Text gelesen hat.
Und wie das geht, also wie man individuelle, ausdrucksvolle Schrift gestaltet, das erkläre ich in meinen Büchern.
PD: Seit einigen Wochen können nun auch Briefe mit „Deiner“ Briefmarke frankiert werden. Das ist ja auch nicht alltäglich im Leben eines Designers. Wie kam’s überhaupt dazu und wie hast Du Dich dem Thema der Marke „Umweltschutz“ genähert?
Chris: Im Frühjahr 2019 bekam ich einen Anruf aus dem Finanzministerium: Ich war in den Pool von etwa 100 Grafikerinnen und Grafikern aufgenommen worden, die regelmäßig zu Gestaltungswettbewerben für Briefmarken eingeladen werden!
Für die Gestaltung von Briefmarken ist in Deutschland nämlich das Bundesministerium der Finanzen zuständig. Ein Kunstbeirat juriert die Wettbewerbseinreichungen und vergibt Platz eins, zwei und drei, der erstplatzierte Entwurf wird veröffentlicht.
Bisher habe ich an vier Briefmarken-Wettbewerben teilgenommen. Und tatsächlich – Stipendien bekommen, Vorträge halten, Bücher schreiben … das ist alles ziemlich toll. Aber Briefmarken gestalten zu dürfen, ist wirklich eine besondere Anerkennung und ein erhebendes Gefühl!
Zum Thema Umweltschutz wollte ich statt der üblichen Drohszenarien über die Folgen der Klimakrise etwas Positives gestalten. Ich dachte: „Was wäre denn, wenn wir das mit dem Umweltschutz jetzt wirklich mal machen würden?“ Dann hätten wir frische Luft, klares Wasser, gesunde Lebensmittel …
Für diese Begriffe habe ich Schriftstile entwickelt, die zu den einzelnen Wörtern passen – „frische Luft“ in einer beschwingten Schreibschrift, „Flora“ mit floralen Schnörkeln, „klares Wasser“ nur als Outline. Durch ihren schraffierten, handgezeichneten Look wirken die Wörter lebendig und individuell und der frische Farbverlauf von grün nach blau verbindet das Ganze visuell zu einer abstrahierten Landschaft. Das hat die Jury wohl überzeugt, die Briefmarke ist am 3. September 2020 erschienen.
PD: Welchem Meilenstein oder besonderem Projekt siehst Du im Moment entgegen?
Chris: Im Moment arbeite ich an einem Heft für die Reihe „100for10“, die die Münchner Agentur melville brand design herausgibt. Das Konzept ist einfach: 100 Seiten für 10 Euro, von jeweils einem Designer oder einer Künstlerin gestaltet, billig gedruckt und möglichst weit verbreitet. Über 100 Ausgaben gibt es schon.
Mein 100for10-Heft wird eine Sammlung von Alphabeten. In meinen Skizzenbüchern habe ich in den letzten Jahren viele Alphabete gezeichnet und die ganz vertrauten Formen immer wieder neu variiert. Ich lote aus, was ich mit den Buchstaben machen kann, bevor sie unkenntlich werden: Wann hört ein E auf ein E zu sein? Wenn es fünf Querbalken hat? Oder zehn? Wann wird es ein Kamm?
Auf Instagram ist die Resonanz auf die Alphabete und meine Experimentierfreude groß, doch die Zeichnungen gehen dort schnell unter. Deshalb freue ich mich, dass die Alphabete nun bald in einer Art Künstlerinnenbuch versammelt sind.
Das 100for10-Heft erscheint Ende November und ist hier erhältlich.
Mehr Infos über meine Bücher gibt es hier, man kann sie direkt bei mir bestellen.
Und sehen woran ich gerade arbeite, kann man auf Instagram: @allthingsletters
Ein großes Dankeschön an Chris Campe für dieses Interview und die tollen Einblicke in die vielen Facetten Ihrer Arbeit. Sie bereichert die Welt um die Alphabete ungemein. Wir freuen uns sehr, dass Chris sich die Zeit genommen hat und es so schnell mit unserem Gespräch geklappt hat.
Vielen Dank für den Beitrag um Thema Umweltschutz-Briefmarken. Mein Onkel möchte seine Briefmarken verkaufen, da er diese länger nicht mehr sammelt. Gut zu wissen, dass es für die Briefmarkengestaltung regelmäßig Wettbewerbe gibt.